Wachsen und wachsen sollte der Fenriswolf. An Stärke dabei zunehmen, bis keine Fesseln und Ketten ihn mehr halten könnten. Am Ende wäre es die Welt, die er in seinem Hunger verschlingen könnte. Und während es den nordischen Göttern gelungen ist, dein mythologisches Vorbild bis zum Ende der Welt zu binden, bist du frei.
Du bist frei - und der Schrecken des magischen Großbritanniens. Ein Werwolf, der selbst außerhalb von Vollmondnächten mehr wölfische als menschliche Züge hat. Ein Werwolf, der mit besonderer Vorliebe Kinder beißt oder tötet. Ein Werwolf, der "du weißt schon wem" gefolgt ist. Du bist die Komprimierung aller Schreckensgeschichten. Der Beweis dafür, dass man in Vollmondnächten nicht vor die Tür geht. Dass man auf seine Eltern besser hört, denn sonst kommst du sie holen, die unartigen Kinder.
Weißt du, wie viele Eltern diese Geschichten inzwischen zur Einschüchterung und Disziplinierung erzählen? Sie stärken damit, was du versucht hast, aufzubauen. Du hast tatsächliche Grausamkeiten begangen, dich zu Gräultaten anderer bekannt und alte Geschichten auf dich umgemünzt. Dein stetes Ziel dabei: Einen Beweis dafür zu liefern, dass du ein Werwolf bist. Wenn sie dich Tier, wenn sie dich Monster nennen - dann ist es in Ordnung. Alles davon ist besser, denn als kranker Mensch behandelt zu werden: Ansteckend und ekelhaft, wie die Aussätzigen, die man schon im Mittelalter aus der Gesellschaft verstoßen und vor die Städte verbannt hat. Doch das haben sie mit dir gemacht, nicht wahr? Von klein auf und ohne, dass du irgendjemandem mehr getan hattest, als selbst eins dieser unartigen Kinder zu sein, die sich zur falschen Zeit zu weit in den Wald gewagt haben.
Du bist - das absolute Gegenteil von frei, in einer Gesellschaft, die Werwölfe als kranke Menschen nicht behandelt, sondern misshandelt und ausgrenzt. Doch im Gegensatz zu deinesgleichen ist Akzeptanz nicht dein Mittel der Wahl. Du kämpfst. Du kämpfst für die Anerkennung von dir und deinesgleichen als Werwölfe. Als eigenständige Spezies, die gleichberechtigt neben Vampiren, Wassermenschen oder Zentauren steht. Gleichberechtigt in der Form, dass ihr berechtigt seid, eure eigene Gesellschaft zu bilden. Eigener Lebensraum, eigene Gesetze, nicht der Gerichtsbarkeit der Hexen und Zauberer unterworfen... Das ist sie, deine Vision. Und im Kleinen lebst du sie: Mit deinem eigenen Rudel. Einer Zusammensetzung aus Werwölfen und Ausgestoßenen, für die du so viel Verantwortung übernimmst, dass jedes Baby, das in eurer Gemeinschaft geboren wird, offiziell deinen Namen erhält. Und nicht jedes von ihnen wird irgendwann zum Werwolf. Denn ihr wisst eure menschlichen Rudelmitglieder zu schützen. Du lehrst sie alle, dass die Wandlung zum Werwolf keine Selbstverständlichkeit, keine Bestrafung, sondern eine Auszeichnung ist. Denn nicht jeder ist stark genug dafür, diese Aggression, diese Kraft und diese permanent geschärften Sinne auszuhalten, die es so schwer machen, in menschlicher Gesellschaft zu leben. Nicht jeder verdient diese Auszeichnung. Und immer, wenn ein Gebissener an seinen Wunden erliegt, machst du es wieder zum Beweis deiner Weltsicht. Sie sind besonders, das kannst du jedem deiner Rudelmitglieder vermitteln. Sie sind wertvoll - und von der Welt so ungerecht behandelt, dass man dagegen agieren muss. Mit jedem Mittel und dem Gegenteil von einem unterwürfigen Integrationsversuch.
Du hast viel darüber nachgedacht. Deine Argumente geschärft. Einen Ruf und eine Gemeinschaft aufgebaut, mit der du eins bereits jedem verzweifelten Werwolf bieten kannst: Rückhalt, eine neue Familie - die du hierarchisch so gut aufgestellt hast, dass du als Alpha verhindern kannst, dass sie untereinander kämpfen. Du hast deine magischen Fähigkeiten so gut trainiert, dass du dir in menschlicher Gestalt tierische Züge anhexen - oder dir die Werkzeuge geben kannst, einem Menschen tiefe Kratzwunden zuzufügen.
Dass der Zweck die Mittel heiligt, wird dabei irgendwann dein Ansatz gewesen sein, doch weißt du das noch? Triffst du die Abwägung noch? Oder ist es schon eine Selbstverständlichkeit?
Du bist - im Bürgerkrieg ein Gefolgsmann von "du weißt schon wem" gewesen, sagt man. Man erwartet auf deinem Unterarm ein Totes Mal - und würde doch nichts dergleichen finden. Denn warum solltest du dich auch einem Mann unterwerfen, dessen Anhänger deinesgleichen lieber tot als auf Augenhöhe sehen würden? Es muss das Versprechen auf Anerkennung als eigene Spezies gewesen sein, mit der Voldemort dich gelockt hat. Sein Unbehagen dabei konntest du riechen und weißt genau: Du bist einer derjenigen, die von "du weißt schon wem" gefürchtet werden - nicht andersherum. Denn es braucht nur einen Biss von jemandem wie dir und seine Anhänger gingen ihm verloren. Egal, ob du Voldemort zum Werwolf machst oder dir nach und nach seine Leute holst. Dich auf seine Seite zu ziehen, bevor dich jemand gegen ihn aufhetzen könnte: Damals war es sein Plan.
Und dann hat er sein Versprechen nicht halten können.
Jetzt ist er zurück.
Und jetzt kannst du erwarten, dass er auch zu dir zurückkommen wird. Mit dem gleichen Angebot auf zukünftige Freiheit und einem Freifahrtschein dafür, bis dahin deine überschärften Sinne, deine Werwolfnatur, auszuleben - und in seine Dienste zu stellen. Und mit dir natürlich dein Rudel.
Du hast dieses Rudel schon mal in einen Krieg geführt. Beflügelt von der Sehnsucht nach Erfolg sind sie dir gefolgt - und weißt genau, wie ihr gescheitert seid. Auseinander getrieben, verfolgt, dezimiert. Auch wenn ihr die Verluste in den letzten Jahren nahezu ausgleichen konntet. Du tätest gut daran, darüber nachzudenken, ob du das wiederholen willst - oder trotz deiner grausamen Werwolfsnatur ein besserer Familienvater bist. Wahlweise auch schlicht ihre Rebellion gegen dich fürchtest, wenn du wieder das gleiche von ihnen verlangst.
Es könnte klug sein, dich nicht wieder auf Voldemort einzulassen.
Es könnte klug sein, sich aus allem rauszuhalten. - Doch das war nie deine Art.
Und somit ist die Frage, ob es da jemand anderen gibt, für ein Angebot. Ob du darauf wartest oder selbst aktiv wirst. Hilfe dafür, dass Werwölfe hinterher in Ruhe gelassen werden, Anerkennung finden. Hilfe dafür, dass du dein selbstgewähltes Lebenswerk vollenden kannst.
Klingt fair - wenn man das Blut ignoriert, das sicherlich fließen wird...